Laut gedacht...

20.04.2023

Entlastung ist dringend notwendig, um die Situation in unseren Bildungseinrichtungen zu verbessern. Die aktuelle Ausgabe von Schule heute hat sich diesem Thema angenommen. Lesen Sie einen Auszug aus der März/April Ausgabe.

Schule heute

Von Sofas, Parallelwelten, Entlastung und einer Regie ohne Drehbuch

 Ja, ich gebe es zu, ich gehe gerne ins Kino, schaue mir auch gerne Filme im Fernsehen an oder streame sie. Ich genieße es, im Kinosessel und dem Dunkel des Lichtspielsaals zu versinken oder mich auf dem Sofa bequem hinzufläzen, ein erfrischendes Getränk griffbereit und vielleicht auch ungesunde Snacks zur Hand. Und ebenso gebe ich zu, dass ich bei der Auswahl meiner Filme nicht immer unbedingt wählerisch bin. Klar schaue ich gern auch mal Arthouse-Filme, anspruchsvolle Literaturverfilmungen oder bildgewaltige und lehrreiche Dokumentationen. Aber ich bin genauso ein Fan des manchmal – meiner Meinung nach – allzu unterschätzten sogenannten Popcorn-Kinos.

In einer immer komplexer werdenden Welt mit vielfältigen Herausforderungen und Anstrengungen im Alltag, ist es aus meiner Sicht nicht nur Entspannung, sondern auch eine Entlastung, mal für zwei Stunden nur einer einfachen Filmstory folgen zu dürfen, „das Hirn an der Kasse abzugeben“ und im wahrsten Sinne des Wortes „abzuschalten“. Andere mögen dies Eskapismus nennen, wahrscheinlich stimmt das sogar. Aber solange es hilft …

Während einer dieser für mich entlastenden Abende bin ich bei einem Film gelandet, der mich entsprechend amüsiert hat und mir geholfen hat, für eine begrenzte Zeit aus unserer Realität zu fliehen. Dieser Film handelt eigentlich von einer Waschsalonbesitzerin, die sich aber sehr unvermittelt unterschiedlichen Parallelwelten, nahezu einem Multiversum, zu stellen hat.

Der Film hat mich abgeholt und amüsiert, mein gesetztes Ziel wurde also erreicht. Es war zwar nicht immer ganz einfach der Handlung zu folgen und zu verstehen, welche Universen gerade aufeinandertrafen, aber es war unterhaltsam und es gab einen roten Faden, der den Film zusammenhielt und neben der schauspielerischen Leistung der Hauptdarstellerin dafür sorgte, dass der Überblick letztlich behalten werden konnte und er insgesamt für einen gelungenen, entspannten und damit entlastenden Abend meinerseits sorgte.

Multiversum, Parallelwelten – wirklich eine kreative Idee für einen guten Filmplot. Allerdings, je mehr ich darüber nachdenke, stelle ich fest, dass die Möglichkeit der Parallelwelten vielleicht doch existiert und wir viel stärker in einem Multiversum gefangen sind, als ich vorher dachte.

So haben wir beispielsweise in dem einen Universum als VBE gerade einen historischen politischen Erfolg für unsere Kolleginnen und Kollegen erreichen können, die Gleichwertigkeit der Lehrämter betreffend. Jedoch gibt es eine zeitgleiche Parallelwelt, in der sich aufgrund dieser Zielerreichung für eine stets klar definierte Gruppe, andere Gruppen nun echauffieren, weil sie sich nicht begünstigt, sogar benachteiligt fühlen oder in der Vergangenheit errungene Erfolge bereits vergessen haben.

Ähnlich geht es mir mit dem Blick auf die derzeitige Situation des Personalmangels. Auch hier wieder die Welt, in der die gleichwertige Professionalisierung aller Lehrkräfte inklusive einer finanziellen und gesellschaftlichen Anerkennung erreicht wurde, die Unterschiede zwischen der sogenannten höheren und der daraus resultierenden Definition einer „niederen“ Bildung scheinbar überwunden wurden. Und parallel das Universum, in dem alle Tore und Türen der Schulen geöffnet werden, Qualifikationen und Ansprüche bei der Personalgewinnung gesenkt werden, ein Universum, in der die Lehrkräftebildung eine rasante Deprofessionalisierung erfährt.

Und vielleicht kennen Sie auch die Welt, in der Betriebe und Unternehmen alles daransetzen, neues Personal zu gewinnen und bewährte Fachkräfte zu halten. Eine Arbeitswelt voller flexibler und manchmal sogar familienfreundlicher Arbeitszeitmodelle, eine Welt voller Obstkörbe und gefüllter Kühlschränke in den Büros, eine Welt des stabilen W-Lans und der neuesten vom Arbeitgeber gestellten digitalen Werkzeuge. Und – Schwupps – switche ich rüber in eine Welt, in der ein Arbeitgeber denkt, Personalgewinnung schaffe er, indem er das bewährte aber stets zu knapp bemessene Personal zu mehr Arbeit auffordert, die geringen vorhandenen flexiblen Arbeitszeitmodelle restriktiv behandelt und durch unüberschaubare und nicht nachvollziehbare Finanzierungen sinnstiftende Digitalisierung verunmöglicht.

Nicht zuletzt gibt es sogar das Universum, in dem alles zeitgleich abzulaufen scheint. Ein Universum, in welchem Wissenschaftler auf der einen Seite empfehlen, dass dem auf dem Zahnfleisch gehenden Schulpersonal möglichst niedrigschwellig und gut zugänglich vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung mittels beispielsweise Achtsamkeitstrainings und Angeboten zur mentalen Gesundheit zu ermöglichen sind aber eben auch gleichzeitig diesen Lehrerinnen und Lehrern der praktische Weg der Gesunderhaltung durch Teilzeit oder der Reduktion der Altersermäßigungen zu nehmen sei.

Willkommen im Multiversum der schulischen Bildung oder der schulischen Realität.

Während der eingangs von mir erwähnte Film wohl ein aussichtsreicher Oscarkandidat, nominiert in elf Kategorien, ist, ist die bundesdeutsche für Bildung verantwortliche Regiekommune – manche nennen sie vielleicht in ihrem eigenen Universum KMK – unzählbare Lichtjahre davon entfernt. Der gelungene Filmplot und der rote Faden fehlen leider beide. Allein die lehrenden, erziehenden und sorgenden Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller in den schulischen Realitäten sorgen dafür, dass die Universen und unsere Kinder und Jugendlichen noch nicht vollends in schwarzen Löchern aufgegangen sind. Den Regisseurinnen und Regisseuren ist das Drehbuch abhandengekommen, falls sie jemals eines hatten.

Gut, dass es Filme gibt, bei denen wir zumindest für eine gewisse Zeit aus dem Multiversum der schulischen Realität fliehen, im Sessel versinken oder uns auf dem Sofa fläzen können, um für eine ganz eigene individuelle Entlastung zu sorgen. Eine Entlastung, die dringend notwendig ist und für die eigentlich die Regisseure verantwortlich wären.

Der VBE wird nicht müde werden, diese Verantwortung laut und deutlich vorzutragen und zu erinnern.

Viel Spaß beim nächsten entlastenden Filmgenuss wünscht Ihnen

Ihr

Stefan Behlau

 

 

 

 

 

 

 

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